Wilfried Meyer: Durch alle Zeiten

Geschichtsgruppe Weyhe

Karl Hahn, Paul Athmann - basierend auf Veröffentlichungen von Wilfried Meyer

Weyhe Dezember 2020

"Das Pferd war bei uns lange Zeit der Maßstab der Geschwindigkeit. Kein anderes Lebewesen konnte sich schneller fortbewegen und dazu auch noch größere Lasten ziehen oder transportieren. Als dann 1825 in England, 1828 in Frankreich, 1835 in Belgien und Deutschland die ersten Eisenbahnen fuhren, begann ein neues Zeitalter, wurde die Verbindung zur großen weiten Welt geschaffen. Die Region um Bremen erhielt 1847 die Staatsbahnstrecke nach Hannover und Oldenburg. Viele Menschen aus dem südlichen Umland der Hansestadt hatten die neue technische Errungenschaft noch nie gesehen, kannten sie nur vom Hörensagen her.

 

So fuhren Neugierige oft per Pferdekutsche nach Eystrup, nur um dort endlich einen Zug zu bestaunen, die Lokführer als Herrscher dieser Technik zu bewundern. Ihre Pferde allerdings scheuten häufig beim Anblick der schwarzen fauchenden „Ungeheuer“.

 

Mit den Vorbereitungen zum Bau der Strecke Hamburg – Paris begannen Ingenieure und Landvermesser ab 1866. Sie sollte über Bremen, Osnabrück und Münster ins Ruhrgebiet führen, bei Dreye die Weser überqueren, dann die kleinen Bauerndörfer Kirchweyhe, Barrien, Syke, Bramstedt, Bassum und Twistringen passieren. Erst im Mai 1873 erfolgte die Einweihung.

 

Hier und da widersetzten sich Bauern dem Bahnbau. Die Gleise durchschnitten natürlich die Ackerflächen und Wiesen, deren Bewirtschaftung dadurch schwerer war. Der Transportweg für Schlachtvieh dagegen wurde kürzer; Dünger, Futtermehl oder Baumaterialien konnten besser herangeschafft werden. Ein Bahnanschluss bedeutete zudem für alle Menschen Fortschritt und Beweglichkeit.

 

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schlossen sich immer mehr ländliche Gemeinden zusammen, um in diesen Genuss zu kommen. Die Ära der Kleinbahnstrecken begann. 1881 Hoya – Eystrup, 1900 Syke – Hoya und Bruchhausen-Vilsen-Asendorf, 1905 Hoya – Bücken, 1908/10 Bremen – Thedinghausen und 1912 kam noch die Strecke Delmenhorst – Harpstedt hinzu.

 

Der erste Weltkrieg und die dann folgenden Wirtschaftskrisen machten geplante Streckenerweiterungen unmöglich.

 

 

Die Kleinbahn Bremen – Thedinghausen

 

Die Freigabe der 8,2 km langen Teilstrecke von Bremen-Huchting bis nach Brinkum hatte schon am 1. Oktober 1908 stattgefunden. Am 1. Februar 1910 folgte der 3,5 km-Abschnitt bis Leeste und acht Monate später der Rest bis nach Thedinghausen. Damit jährt[e] sich der Einweihungstermin für die gut 26 km lange Privatbahnstrecke „Eisenbahn Bremen-Thedinghausen“ (B-Th) am 1. Oktober 2000 zum 90. Mal.

 

 

Die Streckenführung machte die Konzessionserteilung von vier Ländern erforderlich. So lag Huchting in der Hansestadt Bremen, Moordeich und Stuhr gehörten dem Landkreis Oldenburg an, Brinkum, Leeste, Sudweyhe, Riede und Dibbersen der Grafschaft Hoya, der Endpunkt Thedinghausen war eine Enklave von Braunschweig.

 

Die Spurbreite der Schienen betrug 1.435 mm, d.h. sie war genauso breit wie die der Hauptstrecken. Der Name „Kleinbahn“ besagt nur, dass es sich um eine private Strecke handelte. Betreiber war die „Bremisch-Hannoversche- Eisenbahn“ der Deutschen Eisenbahngesellschaft, beide mit Sitz in Frankfurt/Main, das offizielle Kürzel der Linie: „B-Th“.

 

Mit euphorischer Berichterstattung schrieben die damaligen Redakteure der „Brinkumer Zeitung“ über die Eröffnungsfahrt am Sonntag, dem 1. Oktober 1910.

 

In Brinkum, Erichshof, Leeste, Sudweyhe, Riede und Thedinghausen bildeten Gemeindevorsteher, Abordnungen der Vereine und Schulkinder eine Kulisse für die Ehrengäste, zu denen auch der Regierungspräsident von Phillipsborn gehörte. Überall hielt man, für den heutigen Geschmack, überschwängliche Reden und ließ den König von Preußen hochleben.

 

Was die Zeitung damals nicht berichtete: Als der Sonderzug durchs Dorf Kirchweyhe fuhr, standen hier keine Ehrenformationen. Ein kleines Häuflein der Bauern buht mutig die vorbeifahrenden Ehrengäste aus. Sogar ein kleines Protestlied soll gesungen worden sein. „Vor Wut schnaubend und dampfend verschwand der Zug schließlich im Ellernbruch“, war die Erinnerung von Zeitzeugen. In Kirchweyhe bestand erheblicher Widerstand gegen den Kleinbahnbau. Hatten doch viele Bauern erst 1873 beim Bau der großen Bahnstrecke Bremen-Ruhrgebiet nach einer Zwangsenteignung die Zerstückelung ihrer Ländereien hinnehmen müssen.

 

Auch jetzt war es wieder zu Enteignungsverfahren gekommen und mehrfach stand die Umlegung der Strecke über Lahausen – Sudweyher Heide in Richtung Riede zur Debatte. Es wird dann wohl eine kleine Rache der Bahnverwaltung der Bahnverwaltung im fernen Frankfurt am Main gewesen sein, dass Kirchweyhe keinen Bahnhof erhielt. Nur eine notdürftige Bretterbude auf dem Geestfeld bei der Schule war als Haltepunkt für Reisende aufgestellt worden.

 

Güter- und Personenverkehr entwickelten sich rasch. 1915 schloss man das Gleisnetz in Kirchweyhe der Reichsbahnstrecke Bremen-Ruhrgebiet an. Doch der Erste Weltkrieg und die nachfolgenden schwierigen Zeiten vereitelten die schon trassierte Fortführung von Thedinghausen über Schwarme, Martfeld und Wechold nach Hoya. Um 1930 wurden die Linienbusse und der Gütertransport per LKW größte Konkurrenz für die kleine Bahn.

 

Als am 21.März 1945 die Eisenbahnbrücke in Dreye durch Bomben zerstört wurde, war die B-Th die einzige Schienenverbindung nach Bremen. Die Personenbeförderung war kaum zu bewältigen.

 

Nach und nach normalisierten sich die Zustände, die Fahrgastzahlen sanken wieder. Immer weniger Menschen nahmen den Zug in Anspruch, so dass schließlich am 1. Oktober 1955 der Personenverkehr eingestellt werden musste.

 

Was blieb, war der Gütertransport mit Flüssiggas und Dachpappe von Thedinghausen, Eisenschrott aus Dibbersen, Holz nach Riede, Futter und Getreide aus Leeste, in Stuhr-Brinkum gab es diverse Betriebe mit Gleisanschluss, in Kirchhuchting Eisenhandel, und auf allen Bahnhöfen Viehtransport und Landhandel, oft angeschlossener Absatzgenossenschaften.

 

Doch auch diese Tonnagen sanken, der LKW bestimmte mehr und mehr das Transportgeschehen. Die Arbeitsplätze bei der Kleinbahn wurden immer unsicherer.

 

Als dann Bremen seine Aktienanteile 1997 verkaufte und die WCM (Württembergische Cattunmanufaktur) diese erwarb, lag die Mehrheit plötzlich nicht mehr bei den Anliegerkommunen. Der Bestand der Bahnstrecke war gefährdet, die Anlagen verfielen immer mehr.

 

Die WCM war überwiegend an den zahlreichen Immobilien interessiert. Im gleichen Jahr bemühte sich der Verein Kleinbahn Leeste e.V. um Rettungsmaßnahmen. Einige Jahre hatten die Mitglieder schon historische Zugfahrten auf der Strecke veranstaltet, die vom Publikum sehr gut angenommen worden waren, und nun sollte es dieser kleinen Attraktion an den Kragen gehen?

 

Auch andern Orts sah man dem Verfall und der Entwicklung nicht tatenlos zu. Die Gemeinden Stuhr und Weyhe, die Samtgemeinde Thedinghausen und die Bremer Vorortbahn (BVG), eine Tochter der Bremer Straßenbahn AG, einigten sich nach endlosen Verhandlungen auf ein Sanierungskonzept. Sie gründeten eine neue „BTE“, Bremen-Thedinghauser Eisenbahn.

 

Die Sanierung der Strecke und ihrer Anlagen ist [2000] bereits angelaufen. Der Güterverkehr soll neu belebt werden; die Idee der Weiterführung der Straßenbahnlinien 8 von Huchting nach Stuhr, der Linie 5 von Huckelriede nach Brinkum und Leeste, über die in den letzten Jahren oft diskutiert wurde, lebt wieder auf.

 

Mitarbeiter, die bis dahin noch bei der Kleinbahn beschäftigt waren, fanden jetzt neue Arbeitsplätze bei den Gemeinden Stuhr und Weyhe sowie der BVG. Lediglich Betriebsleiter und ein Lokführer blieben bei der BTE. Weitere drei ausgebildete Lokführer können jetzt nach Bedarf dort oder bei der Bremer Straßenbahn AG als Busfahrer eingesetzt werden.

Aus: (Meyer W. , 2000) Durch alle Zeiten, WM-Verlag, Weyhe