Otto Polak (wird überarbeitet)

Heinz Tödtmann

 

Otto Polak wird am 16.7.1933 in Bremen geboren, als Sohn von Carl und Johanne Polak, geb. Jacobsohn, die aus Kirchweyhe stammt. Obwohl die Eltern in Kirchweyhe wohnen, findet die Hochzeit 1932 im Bremer Dom statt, weil ihnen der Kirchweyher Pfarrer und Superintendent Wilhelm Goßmann den kirchlichen Segen verweigert. Otto wird christlich getauft und erzogen – gilt aber nach den Bestimmungen des "Blutschuldgesetzes"  als „Volljude“. Das gilt auch für die an sich "halbjüdische" Mutter, die aber wegen derf Heirat mit Carl Polak ebenfalls zur "Volljüdin" erklärt wird. Die Familie lebt in Kirchweyhe in dem Haus, das ihnen der Vater Johannes Jacobsohn geschenkt hat. Nach dem Tod seines Schwiegervaters übernimmt Vater Carl 1933 dessen Viehhandel. Die Ehe zwischen Carl und Johanne gilt berets nach kurzer Zeit als zerrüttet. Carl trennt sich bereits 1938 von Johanne und zieht nach Bremen, wo er dort bis 1941 mit seiner Mutter in einem der sogenannten Judenhäuser lebt. Die Ehe wird im Mai 1941 offiziell geschieden.  am 18. Novemmer 1941 werden Carl und Adele Polak mit insgesamt 570 Juden aus Bremen und Stade nach Minsk deportiert. Danach verlieren sich die Spuren. Durch die Scheidung 1941 verliert Johanne offiziell den Status einer "Volljüdin". Offiziell vom Tragen des Judenlsterns wird sie aber erst 1942:

"Auf Anordnung und mit Zustimmung der Geheimen Staatspolizeit werden Sie hiermit von der Verpflichtung zum Tragen des Judensterns befreit, weil Sie von Ihrem jüdischen Ehemanne geschieden sind, im Hause Ihrer deutschblütigen Mutter leben und Ihre Geschwister nicht als Juden gelten. Gleichzeitig haben Sie künftig polizeiliche Erlaubnisbescheinigungen zum Verlassen ihres Wohnortes nicht mehr nötig...." (Quelle. Hermann Greve: Gegen das Vergessen)

Am 6. Dezember 1942 stirbt nach jahrelangem Tuberkuloseleiden in einer Bremer Klinik. 

 

Weil der Sohn als Volljude gilt und einen Judenstern tragen muss, ist er tätlichen Angriffen durch die anderen Dorfkinder ausgesetzt.  Ostern 1939 soll Otte die Schule besuchen, aber lt. Gesetz vom 15. November 1938 ist ihm der Besuch einer öffentlichen Schule nicht gestattet. Die Mutter wendet sich an den Bürgermeister, der den Brief an den Landrat weiterleitet. Am 23. November 1939 erhält sie folgende Anwort:

"Betr. Schulbesuch Ihres Sohnes - Der Herr Landrat des Kreises Grafschaft Hoya in Syke hat mir mitgeteilt Ihnen zu eröffnen, dass Sie Ihr Kind in eine Bremer Judenschule geben müssen."

 

Und so wird er in der jüdischen Schule in der Bremer Kohlhökerstraße angemeldet und muss täglich mit dem Zug nach Bremen fahren. Dort wird hebräisch gelehrt, was nach eigenem Bekunden später ihm sehr schwer gefallen ist. Die sozialen Kontakte der Jacobsohns werden immer schwieriger. Nur wenige Nachbarn wagen es, weiterhin mit ihnen zu verkehren. Kaum ein Kind will mit Otto spielen. Aufgehetzt von ihren Eltern, rufen die Kinder, wenn sich Otto auf der Straße zeigt: "Da kommt der Jud!"

Otto erinnert sich später: "Ich hatte 6 Sterne. Auf jedem Pullover und auf jedem Hemd, daß ich öffentlich trug, mußte ich den Stern tragen. Ich durfte ihn nicht verstecken. Da konnte jeder sehen, wer ich war.

 

Seine Mutter ist schwer krank, ist oft für lange Zeit im Sanatorium und kann ihrem Sohn nicht helfen. Für ihn wird jeder Schulweg zu einem Spießrutenlauf. Nicht nur Kinder, selbst Erwachsene schlagen ihn auf offener Straße, beschimpfen und bespucken ihn.

 

1941 wird ein Schulausflug angekündigt. Ein Lehrer benachrichtigt die Großmutter, sie möge verhindern, dass Otto an dem Ausflug teilnähme. Die Kinder würden deportiert. Sie behält ihn zu Hause. So entgeht Otto Polak der Deportation in das Ghetto Minsk am 18.11.1941. Tatsächlich wurden alle anderen Kinder der Religionsschule nach Minsk dorthin deportiert. Keines von ihnen ist zurückgekehrt.

 

Otto Polak erinnert sich später: "Eines Tages wurde uns in der Schule gesagt, daß wir uns an einem Tag alle am Bahnhof treffen würden. Wir sollten mit einem Zentner Gepäck kommen, auch wir Kleinen schon. Da sollte was Warmes zum Anziehen drin sein und Eßwaren und eine Decke. Dann würden wir einen Ausflug machen, wurde uns gesagt. Die ganze Schule! […] Dann habe ich das zu Hause erzählt, und dann hat meine Großmutter bei dem Lehrer angerufen. Der hat gesagt, was los war. Die ganze Schule wurde aufgelöst. Die kammen alle ins Konzentrationslager. Die ganzen Kinder! […] und dann hat der Lehrer gesagt: "Sie haben wohl Glück, Ihr Junge ist von auswärts. Der braucht nicht mit." Ich war natürlich ganz enttäuscht, daß ich den Ausflug nicht mitmachen durfte."

Das Haus der Familie Jacobsohn am Heidfeld-weg in Kirchweyhe in den frühen 20er Jahren. Vor dem Haus: Ottos Großvater Otto Jacobssohn und zwei seiner Töchter (links: Johannek Ottos Mutter)

Nachdem sein Vater deportiert worden und seine Mutter gestorben ist, verliert Otto auch noch seine Großmutter. Er darf keine Schule mehr besuchen und das Haus nicht mehr verlassen. Verlässt er das Haus dennoch heimlich, muss er mit Prügel und Beschimpfungen rechnen. Drei Jahre lang muss sich Otto mehr oder weniger verstecken. .

 

Kurz vor Kriegsende, im Februar 1945, soll der inzwischen 12jährige nach Theresienstadt zum Arbeitseinsatz kommandiert werden. Otto hierzu: "Dann ist der Dorfpolizist zu uns gekommen […] und hat gesagt, daß ich in drei oder vier Tagen abgeholt würde, daß er aber nicht kommen könne; er würde Vertretung schicken, er könne das nicht. […] Dann hat meine Tante fürchterlich geheult und ich hab natürlich mitgeheult […] Meine Großmutter hat alles mögliche probiert - ob ich nicht zu Hause bleiben kann: Sie hat den Ortsgruppenleiter angerufen; sie hat in Syke bei der Gestapo angerufen. Die hat gesagt: "Es gibt keinen anderen Weg: Der Junge muß weg." […]Erst ganz zum Schluß fiel uns Dr. Wills in Kirchweyhe ein. Da hat meine Großmutter bei dem angerufen, ob er nicht was wüßte. Dann ist er zu uns gekommen und hat mir ein Mittel verschrieben. Da sollte ich meinen Körper mit einreiben […] Ich bin am ganzen Körper rot und pickelig geworden […] Dann ist Dr. Willms wiedergekommen und hat ein Attest ausgestellt, daß ich nicht transportfähig bin, weil ich eine ansteckende Krankheit habe."  

 

Auf diese Weise entgeht Otto ein zweites Mal einer Deportation und überlebt den Krieg. Die Wunden, die ihm seine Mitmenschen, vor allem auch die Erwachsenen in dieser Zeit zugefügt haben, hat Otto Polak nie vergessen.

 

Die Gemeinde Weyhe benennt 1995 zum Gedenken an Carl Polak eine Straße nach ihm und macht  2012 seinen Sohn Otto Polak zum Ehrenbürger der Gemeinde

 

Bürgermeister Lemmermann und Ehrenbürger Otto Polak / Foto: Wilfried Meyer
Bürgermeister Lemmermann und Ehrenbürger Otto Polak / Foto: Wilfried Meyer

Quellenhinweise

Fotos: Repro Wilfried Meyer

Gabriele Ullrich und Hermann Greve; Spuren Weyher Geschichte 1871-1949

Weser-Kurier