"Auf diesem Dorfe liegt eine ganz schwere Schuldenlast"

"Unordentliche Lebensart" in Leeste - Ein Bericht aus dem Jahre 1785

J. H. Holzmann, p. t. Pastor

 

 

Um 1780 bekleidete Pastor Holzmann das Pfarramt in Leeste., Diesem Geistlichen, der sich für das Wohl und Wehe seiner Heimatgemeinde ungewöhnlich, stark interessierte, verdanken wir den nachstehenden anschau-lichen Bericht aus dem Jahre 1785.

 

Bericht des Pastor Holzmann aus Leeste an das Amt Syke. Anno 1785. Die Dorfschaft Leeste hat fünf Vollmeierhöfe, 20 Halbmeier, 21 Kötner, 22 Großbrinksitzer, 85 Kleinbrinksitzer, 140-150 Häusler. 

 

An ordinairer contribution bezahlt die Dorfschaft monatlich 84 Thaler. An stehendem Viehschatz muß selbige um Michaelis entrichten 96 Thaler.

 

Die Zahl der Geborenen übersteigt die der Gestorbenen um 33, darunter neun mehr Knaben. Die Vorsicht scheint durch den Überschuß der Geborenen in etwas den Verlust von den in den beiden vorigen Jahren an Blattem dahingerafften Kindern ersetzen zu wollen. Gestorben sind 14 Weibliche mehr denn Männer, dagegen aber auch neun Weibliche mehr geboren. Ein abermaliger Wink von der über das Menschengeschlecht zur Erhaltung ihrer Gleichheit waltenden weisen Vorsicht.

 

Überhaupt kann auch nicht unangemerkt lassen, daß hier die Kinder ungewöhnlich viel an den Schürkens und die Alten viel an Schwindsucht und Wassersucht sterben, und man hat Ursache zu glauben, daß das erstere von dem starken Bremer Bier, so die Wöchnerinnen trinken, herrührt und das zweite von der leider mit den vielen Reise-Fahren verbundenen unordentlichen Lebensart der „Leister“ und vielleicht auch etwas von den Hollandarbeiten.

 

Könnte man endlich den Landmann dahinbringen, daß er in seinem Wohnzimmer ein Schlagfenster zum Ausziehen der faulen und Einziehen der frischen Luft machen ließe, so würden vielleicht jährlich von 100 20 weniger erkranken und 10 weniger dahinsterben. Man sagt es ihnen genug, aber surdis narratur veritas (Toren wird die Wahrheit erzählt).

 

 

Der Nahrungspfennig ist außer dem Ackerbau im Dorfe bei denen, die eigene Stellen haben, das Frachtfahren, der stärkste Betrieb, welches aber die ersten und besten Höfe so zurückgesetzt hat, daß auf diesem Dorfe eine ganz schwere Schuldenlast ruht und vermutlich keine Dorfschaft im ganzen Land ihr darin gleichkommt. Sie wird gewiß eine Summe von 70 000 bis 80 000 Talem betragen.

 

Diese Schulden erstehen daher, wenn die Frachtfahrer ihre Pferde überladen„ dabei schlecht auf ihre Pferde und Geschirr achtgeben, als dann krepieren die Pferde. Von Frachtgeldem bleibt bei den wenigsten Überfluß, weil davon zu Hause und auf den Reisen luxuriös gelebt wird. Wenn nun neue Pferde und Wagen angeschafft werden müssen, so ist kein ander Mittel als eine Summe aufzuleihen und dafür Land zu verpfánden, und so häufen sich die Schulden immer mehr.

 

Hingegen die Brinksitzer und kleinen Häusler reisen teils nach Holland und verdienen sich mit saurer Arbeit ein Stück Geld, welches sie in Roggen- oder Grasland tun. Daher haben die schlechten Hauswirte Gelegenheit, Gelder aufzuleihen. Diejenigen, so nicht nach Holland reisen, suchen ihre Nahrung mit dem Schiffsziehen an der Weser und an der Aller und im Winter mit Spinnen. Durch das Frachtfahren wird nicht nur bei vielen, sondern sogar bei den meisten der Ackerbau als ein Nebengewerbe angesehen.

 

Sie lassen ihren Acker liegen und bestellen ihn nicht zur gehörigen Zeit, sondern auch das viele Gute, so ihnen Gott durch die schöne Gegend oder den guten Grund und Boden geschenkt hat, wird nicht recht genutzet, teils vemachlässiget und gemißbrauchet; zu Verbesserungen werden keine Überlegungen gemacht. Wird von einem oder an-dem Hauswirt davon etwas in Vorschlag gebracht, so heißt es: Dazu haben wir keine Zeit. Der Trieb zum Frachtfahren erstickt all das gute und unterdrückt es, wovon auch die Nachkommen in der Folge großen Nutzen haben könnten.

 

Die Dorfschaft Leeste hat alles, was sie zu ihrem Hausstande die sie auch haben könnten, wenn sie nur Trieb und Lust hätten anzupflanzen.  An Raum und Platz fehlt es nicht, auch haben sie allerlei gemeinschaftliche, an-sehnliche Einnahmen in der Bauernschaft, wovon sie die Kosten und den Ankauf der Eichen und Buchenhester bestreiten könnten.

 

Es wird jährlich in der Leester Weide von den Plätzen, wo das Vieh nachts seinen Aufenthalt hat, verkauft zu 70 bis 100 Thaler. Es werden auch oft Strafgelder erhoben von denen, so ihre Befríedigungen um das Feld oder Marsch und Weide nicht im gehörigen Stande erhalten. Von allen diesen gemeinen Einnahmen vemimmt man keine absonderliche nützliche Anwendung. Die Verkaufung des Mistes ist seit 13 Jahren immer geschehen. Wären dafür jährlich nur 1000 Heister angepflanzet und nur die Hälfte davon angekommen, so hätte die Dorfschaft schon  über 6000 Stämme Holz.

 

Nicht zu gedenken der schönen Leester Scheerweide. Selbíge wird jährlich betrieben mit 840 Kopf Vieh, davon jeder Höfne rseine festgesetzt, gewisse Anzahl hat; jede Weide tut jetzo an Miete 1 1/2 Thaler. Wenn selbige aber recht, genutzt und geteilet würde, kann jede Weide jährlich fünf Thaler einbringen, daher geht eine Summe von 2840 Thalern jährlich verloren. Dies sehen die mehrsten Hauswirte ein, sie suchen es aber nicht zu beför-dern. Noch ein Umstand, welcher der Dorfschaft Leeste sehr nachteilig ist, ist dieser, daß sie gar zu sehr nachlässig sind in der Bezahlung ihrer Abgaben, als Kontribution oder dergleichen. Keine einzige Kontribution erfolget, wo nicht exequenten außen gebrauchet werden und der Einheber davon Last und Mühe hat, und durch die Execution wird. die Abgabensumme noch vergrößert.

 

Dennoch sind sie dabei gleichgültig und lassen die Exequenten zu ihrem eigenen Schaden lange vergeblich laufen, hierdurch wird jährlich viel Geld unnütz angewandt.

 

Sehr viel wäre von hiesiger schlechter Finanzverwaltung und schlechter Polizei, so auf dem Vorsteher des Dorfes ruhet, noch zu sagen, kann aber dermalen nur dies noch hinzufügen, daß überhaupt auf åas gemeine Beste wenig oder gar nicht von denen gesehen werde, die dazu gesetzet,_ daß unter anderem nicht einmal darauf gehalten werde, daß der Armenvogt und Nachtwächter seine Dienste gehörig verrichte, ohngeachtet er sehr gut bezahlet wird.

 

Man hört ihn nur selten desnachts rufen oder blasen, und der auswärtigen von allen uns umgebenden Grenzörtern hier eindringende Bettler und Vagabunden gibt es so erstaunlich viel, daß dadurch das Dorf mit ausgesogen wird, und Leute, die oft ärmer sind als die Bettler, zum Wohlleben derselben hergeben müssen. Noch schließlich muß ich bemerken, daß hier auch so erstaunlich große und beißige Hunde selbst in der teuersten Brotzeit gehalten werden, daß nicht nur viele Menschen davon leben könnten, sondern daß man auch nicht sicher davor gehen kann, indem man öfter von vielen Hunden zugleich angefallen wird, so daß man sich fast scheut durchs Dorf zu gehen und die Kranken zur besuchen.

 

Euer Wohlgeborenen werden es nicht ungeneigt vermerken, daß ich mir die Freiheit nehme, anneben teils ein Verzeichnis von den Geborenen, Verstorbenen usw. mit beigefügten Bemerkungen gehorsamst zu übersen-den, sondern auch eine ldeine Nachricht von den hiesigen Finanzen und Finanzverwaltung anzuvertrauen. Ich denke, daß ich in der Folge auch noch eine Charakteristik werde liefem können, und was sonst zum politi-schen,_moralischen und physikaiischen am besten.

 

Gezeichnet: J. H. Holzmann, p., t. Pastor„