Der Ort Leeste

Paul Athmann


Der Bremer Erzbischof Hartwig I. streitet 1158 mit Heinrich dem Löwen um die Kolonisation. Kaiser Friedrich I. gestattet weitere Urbarmachung des 'Brincimibrooks' und erlaubt dem Bremer Erzbischof Hartwig, die Bruchländer zwischen Weser und Ochtum (von Weyhe bis Hasbergen) zur Kultur auszuweisen. Außerdem gewährt er den ersten holländischen Siedlern im Raum Wachendorf, Süstedt und Uenzen das offizielle Wohnrecht. 35 Um 1180 erhält Friedrich von Mackenstedt das Recht, den Bruch zwischen Huchting und Brinkum nach Holländerrecht an Siedler zu verkaufen.36 Er stiftet daraufhin das Kloster Heiligenrode, dem er unter anderen Ländereien auch eine Hufe zu Weyhe schenkt. 37   
 
Der in der Urkunde von 1158 erwähnte Holländer Bovo, der das Bruchland zwischen dem Bremer Vieland und Weyhe ("Weierebroch, Brinkerebroch“) urbar macht, gründet wohl auch die Colonie Leeste – was allerdings in keiner Urkunde benannt ist. Ihm gewährt der Bremer Erzbischof Hartwig II. den Zehnten vom Zehnten der einzelnen Hufe in den neu angelegten Kulturen, und er erhält  das Recht, die urbar gemachten Flächen nach Holländerrecht an Siedler zu verkaufen. 38

 
Die Abgaben aus der Zehntpflicht gehen hier an andere Personen als Ritter und Adlige. Damit wird das Feudalsystem ein wenig „erweitert“. Allerdings werden die Siedler nicht etwa von Abgaben an den Grundherrn (Erzbischof, Sachsenherzog oder deren Dienstmannen) befreit. Nur ein Zehntel dieser Abgaben geht an die Gründer der Kolonien, während neun Zehntel dem Grundherrn verbleiben. Auch ist die Leibeigenschaft für die Siedler aufgehoben (siehe im Folgenden).


Es ist nicht beurkundet, wer die ersten Siedler in Leeste sind und woher sie kommen. Einige Historiker vertreten die Meinung, dass nur wenige Holländer darunter  sind. Vielmehr gibt es viele männliche Nachkommen der damaligen Bauern, die dem Hoferben weichen müssen und neue Anbauer werden wollen.

 


Nach der Sage siedelt auch ein Friese Hajo in Leeste 'im neuen Brinkumer Bruch'.  Es soll sich dabei um  den Ort Hagen gehandelt haben.  Dieser Friese soll dann später die Burg in Hoya erbaut haben und der Vorfahr der Hoyaer Grafen gewesen sein. 39 Wie bei fast jeder Sage kann man auch hier den historischen Kern der Besiedlungsgeschichte des 'Brincimibrook' herausschälen - wie vielleicht auch den Anfang der Entstehungsgeschichte der Hoyaer Grafen. 


Um 1187 wird das Ansgari-Kapitel in Bremen gegründet. Unter den abgabenpflichtigen Meiern der Kirche wird auch der Meier zu Leeste genannt. Jedes Jahr um Ostern muss er 30 Brote nach Bremen für die dort stattfindenden Armenspenden liefern: „villicus de Leste triginta panes“. 40 Die Abgaben betragen noch um 1500 ca. 100 Scheffel Roggen sowie den Schmalzehnten.41 Bei dem Meierhof soll es sich eventuell um einen Haupthof mit mehreren angegliederten Höfen gehandelt haben.42 Dieser Hof in “Leste” wird dann auch 1188 in einer Bestätigungs-Bulle des Pabstes Klemens III für das Stift St. Ansgari in Bremen erwähnt.43 Es ist aber unwahrscheinlich, dass dieser Meierhof während der Kolonisation angelegt wurde. Vielmehr dürfte er schon vorher bestanden haben.

 

Auszug aus Bulle Pabst Clemens für das Ansgari Stift [Hamburger Urkundenbuch CCLXXVII (1188)]
Auszug aus Bulle Pabst Clemens für das Ansgari Stift [Hamburger Urkundenbuch CCLXXVII (1188)]

Auszug aus Bulle Pabst Clemens für das Ansgari Stift [Hamburger Urkundenbuch CCLXXVII (1188)]

 

Zwischen 1195 und 1207 wird die Abgabenlieferung aus Leeste erneut in einer Urkunde erwähnt, in der Erzbischof Hartwig II. einen Vertrag zwischen dem Probst und dem Ansgari-Kapitel über die Lieferung von Getreidespenden bestätigt. Dort wird bestimmt, dass das „Ortsgewicht Geltung haben [soll] … für das aus Leeste“ gelieferte Getreide. 44  


Es stellt sich die Frage, wo dieser frühe Ort „Leste“ nun genau lag: Sicherlich am Vorgeestrand zur Marsch hin. Eventuell war es der Platz, wo später die Wassermühle gebaut wurde (schon 1260 erwähnt), oder wo später die Kirche gebaut wurde. Auch einer der kleinen Orte Hagen oder Hörden könnte den ersten  Kern des „villa leste“ dargestellt haben.

 

 

Da es Karten aus der Zeit der Kolonisation nicht gibt, kann man nur spätere zum Vergleich heranziehen. Die früheste Karte für den Ort Leeste ist eine Zeichnung von Treu aus dem Jahr 1729. Der Ausschnitt (Norden ist oben) zeigt den Ort mit der Wassermühle (am Mühlenteich, Bildmitte).  Ganz unten rechts ist ein größeres Haus (die Kirche?) erkennbar. Bei den Häusern oben links dürfte es sich um Hörden handeln. Es ist vorstellbar, dass sich der Ort von der Wassermühle her entwickelt hat.

Wenn wir uns die Kurhannoversche Landesaufnahme von 1773 ansehen, so erkennen wir, welche „Bruchländer“ im Bereich Leeste wohl urbar gemacht wurden während der Kolonisation:
Genannt werden dort, anschließend an den Osterbruch (Brinkum): Rahels Bruch, Hillers Bruch, In der Ase,  Leester Weide, Westerbruch und Leester Bruch. Alle liegen nördlich des Geestrandes und dürften vor der Kolonisation feuchte Sumpfgebiete oder doch Gebiete mit jährlicher Überschwemmung durch Weser/Ochtum gewesen sein.

Die beiden letzten grenzen an das auf der Geest liegende „beim Hagen“, während die ersten drei zwischen dem auf der Geest liegenden Mühlenteich von Leeste und der Brinkum-Leester Marsch liegen. Da der Hof „Imhoff“ noch nicht in der Karte von 1729 (Treu) eingezeichnet ist, können wir vielleicht ausschließen, dass er während der Kolonisation angelegt wurde. Möglich wäre daher der Beginn der  Kolonisation rund um die Wassermühle von Leeste und in Hörden, am Geestrand. Die urbar gemachten Ländereien wären dann wohl in den genannten Bruchgebieten zu suchen, wohl anfänglich in der direkten Nachbarschaft der Höfe.

Die Abgrenzung der Bruchgebiete zwischen den durch Friedrich von Mackenstedt an die Holländer Heinrich und Hermann vergebenen Bruchländern und den Bruchländern, die in der Urkunde von 1158 an den Holländer Bovo vergeben werden, ist von den Urkunden nicht abzuleiten. Zwar wird der Ort Ledeshusen in der Urkunde von 1201 als Grenze erwähnt. Es ist jedoch falsch, diesen Ort mit „Leeste“ zu übersetzen, wie Wersebe das angenommen hat. 45 Vielmehr ist ein Ort im Bremer Vieland gemeint.


In der Urkunde v. 1201 reserviert sich der Bremer Erzbischof die Hälfte des Zehnten einer Hufe von dem zur Kolonisation freigegeben Land für eine noch zu bauenden Kirche, die andere Hälfte für das Kloster Heiligenrode: 46
„Nobis tamen, tam decimam, quam regimen decimi mansi, competenti recompensatione ad nostros usus redimere permittetur. Dimides mansus dabitur Ecclesiae in hac palude aedificandae, item dimidius mansus sanctae Mariae in Heiligenrothe“


Zu diesem Zeitpunkt scheint also noch keine Kirche zu existieren - weder in Brinkum noch in Leeste. 
Leeste wird danach noch in weiteren Urkunden erwähnt: 
1211 wird Witlo (Willo?) de Leste in einer Verkaufsurkunde des Grafen Moritz v. Oldenburg erwähnt, die im Kloster Bassum verwahrt wird. 47

 

 

 

1250 erscheint villa Leest in der Bremer Weserbrückenliste, in der alle Orte aus der Umgebung Bremens erfasst sind, die einen Beitrag zu den Kosten der Bremer Weserbrücken leisten sollten. 48 


Im Jahr 1290 verpfändet  Gerhard de Leste seine Anteile an dem Zehnten zu „Machtenstede“ an das Kloster Heiligenrode. 49