Wiking Faltbootwanderer

Paul Athmann/Ute Ribbe
 
1958 trennen sich die Kanuten des Wassersportvereins Wiking von den Seglern und lassen sich als „Wiking Faltbootwanderer“ ins Vereinsregister eintragen.


1959 müssen die „Wikinger“ das Bootshaus in der Inselziegelei aufgeben, da im Zuge der MittelweserKanalisierung außendeichs keine Häuser mehr stehen dürfen. Die Gemeinde Kirchweyhe gewährt einen Zuschuss von 5000 DM für einen Neubau – wenn eine Wohnung mit eingebaut wird, die die Gemeinde vermieten kann. 19 1960 wird dann - zumeist in Eigenleistung - für die Faltbootwanderer ein neues Vereinsheim am Gerlandsweg gebaut. Es liegt heute versteckt im Dreyer Industriegebiet, neben den Hansa-Beton Werken (Winkler) - direkt am Weserdeich. Hier zweigt bis in die 1960er Jahre der Zuleitungskanal von der Weser ab und eröffnet die Möglichkeit, in die Marsch zur Ochtum zu paddeln, oder über die Weser. Zu diesem Zeitpunkt ist das Vereinsheim das einzige Haus am Deich.

Die Maurerarbeiten für den Rohbau werden der Firma Heinrich Claus Ahrlich in Kirchweyhe übertragen.   Alle anderen Arbeiten werden von den Vereinsmitgliedern ausgeführt. Die Materialen für den Bau stammen zum Teil aus dem Abriss der Bremer Wollkämmerei. (z.B. die Stahlträger). Magdalena Lange erinnert sich 2012, dass sie mit einigem Leichtsinn beim Bau vorgegangen sind: „und dann ist ein Kran von Holler gekommen und hat die [Stahlträger] aufgesetzt, […], und hinterher hat mein Mann gesagt: ‚was haben wir gemacht. Da haben die Jungs gestanden und haben diese Träger festgehalten … bis die Verbindung hatten, dass die nicht mehr wackeln konnten … die konnten die doch nicht halten, die hätte doch keiner gehalten, wenn die umgefallen wären.‘... Ja, aber, ich sag ja, seid froh, sie sind ja nicht umgefallen. Alles hat geklappt!“20

Auch die Wasserleitung wird selbst verlegt. Von der Baufirma von Rolf Lange  wird ein kleiner Bagger ausgeliehen. Der Graben wird dann von den Mitgliedern mit Schaufeln sauber ausgehoben und nach dem Verlegen der Leitung auch wieder zugeschaufelt. Zum Bau des Vereinsheims gibt es Zuschüsse vom Kreissportbund. Auch die Gemeinde Kirchweyhe unterstützt den Bau.
 
Das Vereinsheim liegt direkt neben dem Sieltor des Zuleitungskanals im Deich. Dort ist heute der KiesSchiff-Entladehafen der Hansa-Beton-Werke. 

Auf dem Platz beim Vereinsheim, zwischen Deich und Kiesentladestelle, ist es auch immer für die Paddler anderer Vereine möglich, ihre Zelte aufzuschlagen. Im Vereinsheim gibt es auch eine Wohnung. Dort wohnt zunächst die Familie Heinz und Käthe Voigt mit ihren Kindern Klaus, Dieter und Matthias (ebenfalls aktive Faltbootwanderer).  Das Vereinshaus ist als Flüchtlingsunterkunft von der Gemeinde gefördert worden. Die Familie Voigt ist als DDRFlüchtlingsfamilie anerkannt und bekommt daher die Unterkunft. 1976 ziehen die Voigts dann nach Gessel. Dort betreibt Klaus Voigt noch heute mit seinem Sohn Jochen einen Biohof und ein Restaurant. 

Die Familie Klaus und Mike Voigt  hat 12 Jahre (ab 1964) in dem Vereinshaus gewohnt.  Nach 1976 zieht der Sohn von Dr. Hadwig Vasen, Wolfram,  in diese Wohnung. Heute hat hier Christel Grohnert ihr Zuhause. Sie nimmt damit auch die „Hausmeister-Stellung“ für das Vereinsheim ein.
 
Zu einem spektakulären Akt kommt es 1960, als Klaus Voigt sein neues, sebstgebautes Boot mit Hachewasser taufen läßt. Kein Geringerer als der Meeresgottt Neptun erscheint, um das „Eskimoboot“ auf den Namen „Koski“ zu taufen. Das Boot war auch schon  als halbfertiges Gerüst  in der Kirchweyher Schule gezeigt worden, im Rahmen einer Vereinsaustellung.21
 
1965 wird Rolf Lange Vorsitzender des Vereins. Er folgt Karl Burhop in diesem Amt.
 
1967 gibt es neue Kunststoff-Boote. Die Übergabe erfolgt am Blauen Werder. 

In den 1960er und 70er Jahren wächst der Verein weiter. Die Lehrer Heinz und Klaus Voigt (Lehrer in Kattenturm) bringen viele Jugendliche zum Kanusport. Über „Mundpropaganda“ werden weitere Mitglieder geworben. Es werden in dieser Zeit auch viele Vereinsfahrten auf der Ochtum und in der Lüneburger Heide gemacht - oft von Dieter Voigt organisiert.

2008 feiert der Verein sein 50-jähriges Jubiläum:  Zunächst ist ein Ehemaligen-Treffen im Vereinsheim. Karl Burhop als Gründer und erster Vorsitzender des Vereins (bis 1965) ist ebenso eingeladen wie Walter Ellwanger, der viele Jahre den Vorsitz inne hatte (1979-2006). Ellwanger war einer der Nachfolger von Rolf Lange – wie auch Günter Wessels (1977-1979). Maren Krön übernahm dann das Amt im Jahre 2007. Im Mai 2008 findet dann ein Tag der offenen Tür statt, an dem auch die Gründungsmitglieder des Wassersportvereins Wiking (aus dem sich die Faltbootwanderer ja entwickelt haben)  vorbeischauen:  Mariechen Finkenberg und  ihre Schwester Magdalene Lange (geb. Finkenberg). Zusammen mit dem Gründungsmitglied von 1958, Walter Ellwanger, erhalten sie die Ehrenmitgliedschaft der Kanuten. Ellwanger erhält in diesem Jahr außerdem die Goldene Ehrennadel des Kreissportbundes (KSB).

Die Bilanz zum Jubiläum kann sich sehen lassen: In 50 Jahren erkundeten die Kanuten 250 Flüsse und Seen in Deutschland sowie 70 weitere im Ausland.  Über eine Million Vereinskilometer wurden erpaddelt. Vier sogenannte „Globen“ wurden erreicht:  Diese Auszeichnung erhält nur, wer mehr als 40000 km gepaddelt hat (also einmal um die Erde). In Niedersachsen haben das 60 Paddler erreicht, vier davon sind WFW – Mitglieder: Walter Ellwanger, Thomas Herzog sowie Helga und Horst Rathje.22

2013 wird mit Hilfe einer Spende der Kreissparkasse ein weiteres Jugendboot, die „Radau“,  erworben. Außerdem kommt ein Einer zur Bootsausstattung des Vereins hinzu, die „Mississipi“. Max Hurdalek und die Vorsitzende Maren Krön zeichnen 2013 die Vereinsmeister aus: Jannik Coronce (Schüler), Quentin Emde (Jugend), Katja Emde (Damen), Jörn Emde (Herren). Jörn und Quentin Emde werden auch Bezirksmeister. Jugendleiter Jörn Emde veranstaltet mehrfach ein Kinderpaddeln auf dem See am Vereinsheim und auf der Weser.  23

2008 feiern die Faltbootwanderer ihr 50-jähriges bestehen. 24

Presseartikel zum Tag der offenen Tür im Jahr 2008. 25
 
 
Fahrten des Vereins und der Vereinsmitglieder 
 
Als in den 1960er Jahren die Motorisierung einsetzt, werden auch Möglichkeiten des Bootstransports einfacher.  Entweder man packt sein Kanu auf das Autodach oder nutzt einen Bootsanhänger. 
 
Schon vor der Auftrennung in Segler und Kanuten werden gemeinsame Fahrten unternommen (siehe die Fahrt nach Kassel).  Zumeist aber finden sich einzelne Vereinsmitglieder zusammen und gehen mit ihren Kindern und deren Freunden auf große Fahrt.

Die Tierärztin Dr. Hadwig Vasen hatte in den 1950er Jahren ihre Praxis in Arsten, seit 1978  wohnt sie in Riede.  Ab 1965 ist sie Mitglied des Vereins, und ihr 10-jähriger Sohn ist damals die treibende Kraft, die sie zum Kanusport bringt. Die Familie Vasen unternimmt ab 1970 mit ihrem Wohnmobil Fahrten in den Harz, nach HannoverschMünden, ja bis Lappland und Norwegen. Immer haben sie die Boote dabei, und einige Jugendliche fahren mit. Bis zu 5 Boote werden  auf dem Anhänger  des Vereins hinter dem Wohnmobil mitgenommen. Den CampingAufsatz hatten sich die Vasens vom Tischler auf einem alten Hanomag aufbauen lassen. Fertige Wohnmobile gab es damals noch nicht.  

Eine regelmäßig wiederkehrende Fahrt ist die Ochtum-Weserfahrt. 1998 werden die Boote in der Weyher Marsch in die Ochtum gesetzt.  [Fotos: WFW]

Auf den mehrtägigen Touren auf den Heimatflüssen werden auch mal  Zelte im Boot verstaut und an den Ufern aufgeschlagen.

Auch die Familie Vasen befährt viele der heimischen Flüsse: Hache, Ochtum, Hunte, Hamme, Wümme, Oker und viele kleine Heideflüsse.  Im Interview mit der Geschichtswerkstatt schildert Frau Dr. Hadwig Vasen 2012 so manches Erlebnis 26: Wie sie auf der Wümme gekentert ist, und, nachdem sie ihre nassen Kleidung abgelegt hat, nackt unter den Kühen steht, oder als sie auf der großen Weser-Marathonfahrt von Münden bis Hameln mit ca. 300-400 Booten in der Schleuse starten. Oder als sich ein Mann in dem großen Durcheinander des Paddler-Camps  in der Damentoilette verirrt.

Auf der Fahrt nach Norwegen werden sie auch schon mal von Elchen geweckt, die sich an ihrem Wohnmobil scheuern. Und in Lappland werden die Jungs von den vielen Mücken „blutig“ gestochen.
 

Bei einer Kanu-Fahrt auf der Elbe wäre beinahe einer von den Jugendlichen ertrunken. Er war über die im Fluss verlaufende Zonengrenze geraten und wurde von der DDR-Grenzpolizei aus dem Wasser gezogen.  Der Junge kam dann ins Krankenhaus nach Geesthacht.
 
Auch von Wildwasserfahrten ihres Sohnes in der Schweiz und Frankreich kann Frau Vasen erzählen.  Bei einer Fahrt in der Schweiz mit 4 Paddlern kenterte einer in einer Schlucht („Malli“, Uwe Mallon) und wurde ans Ufer gespült. Während die Vasens oben standen, konnten sie ihm unten in der Schlucht nicht helfen. Mit einem schnell besorgten Seil zogen sie ihn schließlich langsam aus der 10 Meter tiefen Schlucht. Das abgetriebene Boot wurde - beschädigt - weiter unten aufgefunden und konnte geborgen werden. Es steht heute „als Warnung“ im Vorgarten der Familie Vasen in Riede. 27
 
Im Vergleich mit anderen entwickeln die Kanu-Vereine einen gewissen Ehrgeiz, sich in den gepaddelten Kilometern zu übertreffen. Vom Deutschen Kanuverband werden Fahrtenbücher bereitgestellt, in denen jede einzelne Fahrt eingetragen wird. Am Ende eines Jahres zählt jeder Verein die gefahrenen Kilometer aller Vereinsmitglieder zusammen und meldet sie dem Deutschen Kanuverband. Als Spitzenwert können die Wiking Faltbootwanderer im Jahr 1981 mehr als 58000 km vermelden.
 
Bis 2007 geht die Anzahl der gefahrenen Kilometer bis auf 10000 zurück, was wohl auch an den geschrumpften Mitgliederzahlen liegt. 2013 sind noch ca. 70 Mitglieder im Verein. Im selben Jahr fahren allein die Jugendlichen des Vereins 4800 km und gewinnen damit die Bezirks-Wertung.


In einem der  „Wanderbücher“  von Magdalena Lange sind zwischen 1975 und 1980 eine Menge der norddeutschen, aber auch einige der süddeutschen  Flüsse und Seen verzeichnet: Weser, Hase, Oker, Aller,  Ilmenau, Böhme, Lune, Ollen, Oste, Elbe, Schlei, Geeste, Ems-Jade-Kanal, Gr.Plöner, Dümmer, Neckar, Donau, Lahn, Chiemsee.
 
Oft werden die Wanderfahrten auch vom Deutschen Kanuverband organisiert. Magdalena Lange erinnert sich an ein 14-tägiges Zeltlager auf einem vom Verband organisierten großen Zeltplatz am Chiemsee.
 
Andere Fahrten sind privat organisiert. Zum Beispiel durch die Langes der Bodensee – der sich allerdings als schwierig herausstellt, da man auf Schweizer Seite mit steilen Ufern zu rechnen und kaum Möglichkeiten zum Ausstieg hat. Denn der größte Teil ist in Privatbesitz. Stattdessen wird dann den Rhein herunter gepaddelt – bis Schaffhausen.
 
Auch die Fahrt auf dem Plöner See ist in Erinnerung geblieben.  Ruhleben, Prinzeninsel, Vierersee usw. Die Langes machen hier einige Male Urlaub.  Ebenso  auch der Aufenthalt in einem Heim des DKV in Warkhausen an der Wümme, oder die „Hochzeitsfahrt“ an der Lesum und Hamme.
 
Auf einer Fahrt über die Hunte bis Huntlosen bleiben die Langes mal auf einer Sandbank hängen, mit der kleinen Sigrid im Boot. Dort müssen sie dann aussteigen, und die Kleine gerät „in Panik“.  Schließlich können sie das Boot aber wieder von der Sandbank wegziehen.

Eine „Hochwasserfahrt“ an der Nordseeküste muss wegen zu starkem Wind abgeblasen werden.  Aber auf der Unterweser wird schon mal bis zur Geestemündung gepaddelt. Die Verpflegung gestaltet sich mit dem Aufkommen von Dosennahrung, Gaskochern und praktischem Kochgeschirr zunehmend einfacher. In einem Kunststoffkocher wird alles verstaut, auch die Lebensmittel wie Margarine und Gewürze. Der Koffer kommt  ganz unten in das Boot, wo er vom Wasser gekühlt wird. Einkehren zum Mittagessen können sich die meisten Kanuten nicht leisten.  Das Essen wird immer selbst zubereitet, und wenn es nur eine Tütensuppe ist.
 

Jährlich wird die Saison am 1. Mai durch das „Anpaddeln“ auf der Weser (Dreye bis Bollen) eröffnet.  Magdalena Lange erinnert sich, dass ihre Familie dabei mal in Bollen bei der Gaststätte „Zum Silbernen Löffel“ anlegen wollte und auf einem Weidepfahl hängen geblieben ist, was zum Kentern des Bootes führte. Damals gab es noch keine wasserdichten Beutel, und daher waren alle Kleidungsstücke nass. Sie erhielten dann trockene Kleidung von anderen Paddlern. Der mitgebrachte Topfkuchen war aber glücklicherweise trocken geblieben, weil er ganz vorne im Boot lag. In der Gaststätte wurde das Ereignis dann mit mehreren „Kenterwassern“ begossen, was zu einer fröhlichen Heimfahrt führte. In Dreye wurde dann als Abschluss der übrig gebliebene Topfkuchen verteilt.
 
Das „Abpaddeln“ von Verden bis zum Bootshaus in Dreye  beschließt im September die Saison.  In Horstedt gibt es zu Mittag jeweils ein ordentliches Bauernfrühstück. „Abpaddeln war erst als wir dann Autos hatten, immer von Verden bis zum Boothaus. Und dann war immer in Horstedt Mittagspause. Und dann gab es immer Bauernfrühstück… weil das viel war, zum Sattessen richtig, und nicht so teuer…“, so Magdalena Lange im Interview.  28

Im Winter wird schon mal das Kentern geprobt. Klaus Voigt hat das oft im Syker Hallenbad mit seinen Schülern durchgeführt. Auch heute wird noch die „Rolle“ im Weyher oder Syker Schwimmbad geübt.  Einige Waghalsige „springen“ bei der Gelegenheit  auch mal mit dem Boot vom Fünfmeter-Turm.
 
 Mit dem Aufkommen der Neopren-Anzüge werden vermehrt auch Fahrten im Winter gemacht.  

Ansonsten werden im Winter die Boote gepflegt, vergangene Fahrten besprochen und neue Fahrten geplant.  Außerdem trifft man sich  zu Silvester- und Karnevalsfeiern.  
 
Karneval 1963 im Vereinsheim: Vorne (weiße Bluse): M. Lange Im Hintergrund stehend: Ehepaar Voigt    Vorne ganz rechts: Dieter Voigt
 
Foto: M.Lange