"Und stach ihm mordtlich ins Herz"

Weser-Kurier vom 4. Januar 1973

 

Tumult um einen Totschlag 1638 / Der Täter entwischte

Kirchweyhe– Es war in der Nacht 6. September 1638. Mit zornigem Sinn zogen die Brüder des erschlagenen Segelke Meyer aus Leeste nach Kirchweyhe um Rache zu nehmen an Gödeke Meyer, Was war geschehen? Im Februar des selben Jahren war es zwischen Gödeke und Segelke in einem Bremer Gasthaus zu Tätlichkeiten gekommen, die ein schlimmes Ende hatten. Einzelheiten sind einer Eingabe zu entnehmen, die die Witwe des erschlagenen Segelke Meyer an ihren „allergnädigsten“ Herrn, den Herzog Wilhelm von Braunschweig, Lüneburg und Harburg richtete.

 

Dem Schreiben ist zu entnehmen, dass der Erschlagene vom Syker Amtsdrosten in Contributionsange-legenheiten nach Bremen geschickt worden war. Wahrscheinlich ist der dienstliche Auftrag ohne Zwischenfall abgewickelt worden. Beschrieben wird in der Eingabe die danach folgende Zeit, als Segelke aus Berendt Wittings Haus in der Neustadt trat, um über die Brücke (es könnte die Ochtumbrücke in Kattenturm gewesen sein) nach Hause zu gehen.

 

Im Gasthaus hatte Segelke mit anderen Leestern zusammengesessen. Vor der Tür habe Gerken Meyer zu Weyhe, ein tollköpfiger Mann, den Segelke „bey Schelm-Schelten“ wieder ins Haus geholt. Segelke konnte sich jedoch befreien. Der Mann aus Kirchweyhe holte den Flüchtenden ein, packte ihn und zog ihn mit über die Brücke zum Steinweg (alte Bundesstraße 6 zwischen Kattenturm und Brinkum). Hier, außerhalb der bremischen Gerichtsbarkeit vollzog sich jene Bluttat, deren Ursache nicht mehr zu ergründen ist. „Ohnversehens wurde Segelke mit einem Brodtmesser, daß er ihm mordtlich ins Herz geschlagen, jemmerlich umbs Leben gebracht. Und jener ist, das Messer in der Hand haltend, davon gelauffen“.

 

Die Wunden des Toten wurden am folgenden Tag durch eine Amtsperson in Augenschein genommen. Etliche Zeugen, die das Geschehen verfolgten, wurden verhört. Von dem Täter fehlte allerdings jede Spur. Die eingeleitete Fahndung blieb ohne Ergebnis.

 

Inzwischen wurde die Witwe in Leeste ungeduldig. Mehrere Male ist sie beim Syker Drosten Johann von Langen auf seinem Bauerngut in Heiligenbruch bei Riede vorstellig geworden, um die Angelegenheit voranzutreiben. Wenn sie es besser könne als seine Vögte, soll von Langen unwirsch gesagt haben, dann solle sie den Totschläger doch ergreifen und nach Syke schaffen. Dieser Hinweis wurde in Leeste nicht nur wörtlich, sondern auch als Anstoß zu einem Akt verbotener Selbsthilfe genommen.

 

So zogen denn die Brüder des Ermordeten Cord und Johann Meyer mit einigen Freunden, genannt sind Segelke Cordts, Johann Schmied, Rendig Böttcher in der Nacht zum 6. September 1638, zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, nach Kirchweyhe, um Gödeke Meyer zu fangen. Trotz herrschender Notzeiten hatte die Angelegenheit in der Umgebung viel Staub aufgewirbelt. Es wurde erzählt, Gödeke würde sich frei im Amtsbezirk bewegen können und verstecke sich in seinem Weyher Hause.

 

Siegesgewiß umstellten die Leester den „sattelfreien Meierhof“ und drangen ohne Zögern in das Haus ein. Soviel sie aber auch suchten, „Görken“ war nicht auffindbar, weder in den Kammern noch hinterm Backhaus. Zornig über den Mißerfolg richtete sich die Wut der ungebetenen Nachtvögel gegen die obigen, unsanft geweckten Hausbewohner. Die Mutter des Gesuchten wurde beschimpft, sie sei ein alter Teufel und eine Donnerkatze, hieß es, während die „junge Meyersche“ über das Wort Hure weinte. Ein älterer Knecht wurde zu Boden geschlagen. Dabei kam es ebenfalls zu "lästerliche Bemerkungen gegen die Obrigkeit“. Wenn die Herren zu Harburg nicht richten wollten, wo wollten es die Leester tun.

 

Mit dem Richten wurde es jedoch nichts. Zunächst war die Familie des sattelfreien Meierhofes am Zuge. Das Amt Syke vernahm von dem Racheakt. Es gab eingehende Untersuchungen. Lüder Kops und Gerke Schierenbeck, Knechte auf dem Hof in Kirchweyhe, berichteten dem Drosten, daß Gödeke Meyer in der fraglichen Nacht zwar nicht vom Erdboden verschwunden, sondern im benachbarten Amt Thedinghausen gewesen sei. Gerke Schierenbeck war noch in der Nacht losgeritten, um dem Hausherrn den Überfall zu melden.

 

Darüber empörte sich die Witwe des Erdolchten. Sie war ebenfalls davon überzeugt, was man sich in Leeste zuraunte, der amtlich gesuchte Totschläger genoß den stillschweigenden Schutz der Herren zu Harburg. Es erfolgte eine neue Eingabe an Herzog Wilhelm und an seinen Bruder Otto. Die Brüder des Getöteten saßen inzwischen wegen ihres Überfalls im Gefängnis, wo „Zaubersche, Schelme und Diebe verwahret würden.“ Es wurde um Freilassung gebeten.

 

Zunächst überprüfte Herzog Wilhelm das Verfahren. Auf Anordnung des Landesvaters wurde eingehend untersucht, ob die Fahndung nachlässig gewesen sei und was im Haus des Verdächtigen während des Überfalls vorgegangen war. Vier Wochen später, am 6. Oktober 1638, fand eine Verhandlung in Syke statt. Etliche Zeugen waren erschienen: Die Frau des Barrier Pastors, Hille Blocks aus Weyhe, Segelke Curdts aus Leeste, die Magd des Barrier Krügers Lisebeth Meyer, die Knechte Lüder Kops und Gerke Schierenbeck und sämtliche Amtsvögte, Albert Lose zu Leeste, Jürgen Meyer zu Weyhe, Jürgen Nüstette zu Hünte, Johann Büntemeyer aus Okel, Jakob Butzbach aus Riede und Klaus Krüger zu Heiligenfelde.

 

Die Untersuchung verlief jedoch ohne Sensation. Vor allem konnte die Witwe von Segelke Meyer aus Leeste nicht beweisen, daß sich der Totschläger Gödeke Meyer dauernd unbehelligt im Amte aufgehalten habe. Die Magd des Barrier Krügers berichtete treuherzig von einem Besuch des Flüchtigen im Gasthof. Jedoch war das schon vierzehn Tage vor der Tat gewesen. Danach war er kaum noch gesehen worden. Hilde Blocks glaubte die Stimme Gödekens auf dem Dachboden gehört zu haben, als sie eines Morgens ganz früh auf seinen Hof kam, um sich einen Wasserkessel auszuleihen. Die Pastorenfrau berief sich auf das, was die Küstersfrau gesagt hatte. Es blieben am Ende lediglich die Schimpfworte der erbosten Häscher gegen die aufgescheuchten Frauen auf dem sattelfreien Meierhof, die von Harmen Harmes Knecht und Cord Meyer nicht bestritten werden konnten.

 

Die Amtsvögte ließen übereinstimmend verlauten, ihnen sei von der Obrigkeit niemals verboten worden, weiterhin nach Gödeke Meyer zu fahnden. Vielmehr sollten sie ihn jagen und auf das Amt nach Syke bringen. Dem Vogt Jürgen Meyer zu Weyhe sei befohlen, „fleißig auf ihn zu achten, ihn beim Kopfe zu nehmen und zu der Herrschafte zu bringen“. Gegen Zahlung von fünf Thalern Strafe konnten die Brüder Meyer aus Leeste das Gefängnis verlassen. Zuvor mußten sie geloben, daß sie sich weiterhin ruhig verhalten wollten. Von dem Flüchtigen, fehlte danach jede Spur.