Leester Frachtfahrer unterwegs

Geschichtsgruppe K. Hahn/W. Polley/P. Athmann
 
Im 19. Jahrhundert sind dann viele Frachtfahrer auf den schon besser ausgebauten Straßen des Königreichs Hannover unterwegs. Die Leester und Brinkumer fahren überwiegend die Strecke bis nach Nürnberg oder zu anderen Städten in Süddeutschland.


In einer Liste des Syker Amtes aus dem Jahre 1758,die die Pferde des Ortes Leeste, aber auch die Frachtfahrer erfasst, werden folgende Ziele der Leester genannt: Hannover (5-6 Tage hin und zurück), Hildesheim (8-10 Tage), Osnabrück (7-10 Tage), Tecklenburg (8-9 Tage), Minden (4-6 Tage ) und Braunschweig (6 Tage).Das Futter wird teils mitgenommen, teils unterwegs gekauft.30 

 

Verkehrskarte des bremischen Binnenhandels in der Zeit des großen Frachtfuhrwerks [Ausschnitt]31
Verkehrskarte des bremischen Binnenhandels in der Zeit des großen Frachtfuhrwerks [Ausschnitt]31

Der Weg nach Hannover und Hildesheim oder Braunschweig führte über Nienburg bzw. Wölpe und Neustadt. Bis 1782 gab es den Weg noch nicht, der der heutigen B6 entspricht. Die Leester nahmen den alten Heerweg über Wölpe und Stöckse.32

 

Da die Fahrt nach Süddeutschland 16-17 Tage in Anspruch nimmt33, muss der Fuhrmann häufig zu Mittag und zur Übernachtung einkehren. Auch wollen die Pferde versorgt werden. Dazu sind ihm Gastwirtschaften, die einen „Rundum - Service“ bieten, sehr willkommen: Neben dem Essen für die Fuhrleute muss eine solche „Ausspannwirtschaft” eine Unterstellmöglichkeit für die Pferde, Wasser und Futter für die Vierbeiner und auch noch eine Schmiede für deren Beschlag sowie für notwendige Reparaturen des Fuhrwerks anbieten.

Ein Frachtfuhrwerk beim Waldkater in Melchiorshausen 34
Ein Frachtfuhrwerk beim Waldkater in Melchiorshausen 34

In Melchiorshausen entwickeln sich an dem Neuen Damm' (heutige B6) einige Gastwirtschaften und Ausspannwirtschaften: Dammschmidt(ca. 1830), Peters, Waldkater (1880), Sudmann, Schumacher und andere.

Pferdefuhrwerk vor dem Gasthaus "Waldkater" um 1918 35 

Die bekannteste Ausspannwirtschaft ist wohl die Wirtschaft "Schmidt" in Melchiorshausen, auch "Dammschmidt" genannt. Sie bietet neben der Unterstellmöglichkeit für Pferde auch eine eigene Schmiede, die an der Grützmacherstraße gegenüber dem Gasthaus liegt (heute Wohnhaus).


Im 18. Jahrhundert hatte Georg Schmidt die Gaststätte mit Pferdeställen gegründet. Neben dem Schankbetrieb hat sich auch ein typischer Landhandel entwickelt, der Kolonialwaren und Brennstoffe umfasst. Viele Bremer Fuhrleute und Ausflügler machen hier Rast. Pferde werden versorgt, und die Kutscher können übernachten. Im Stall des Gasthofes können bis zu 60 Pferde untergebracht werden.

 

Repro: W. Meyer
Repro: W. Meyer

 

“Dieser Ort [Dammschmidt] war ein einträgliches Geschäft: die Fuhrleute kehrten ein, weil nach und nach ein Ausspann für 60 Pferde eingerichtet wurde. Auch die Versorgung der Tiere war gewährleistet. Geschäftstüchtig waren die Schmidts: Fuhrmannsgaststätte, dazu Landhandel und Brennstoffe, später Kolonialwaren und auch eine Hofschmiede, die gegenüber der Straße lag. […] Die Frachtfahrer haben hier Geschäfte abgewickelt. Wagenladungen aus Bremen wurden hier zusammengestellt, um im Treck gen Süden zu rollen. Rund ums Grundstück befanden sich einst Eichenpfähle, an die die Pferde angebunden wurden.1957 wurde der letzte Eichenpfahl  ausgerechnet von einem Nachfahr der Frachtfahrer, nämlich einem LKW, umgefahren. Das letzte Delikt aus der Fuhrmannzeit.” 36
 
Die Ausspannwirtschaften in Melchiorshausen liegen insofern günstig, als hier die Fuhrleute auf ihrem Weg nach Bremen die letzte Übernachtung buchen können, um dann am nächsten Tag frühmorgens zu ihrem Bestimmungsort zu gelangen. "Wer von den Fremden nach Hannover reisen wollte, suchte am ersten Tage über Brinkum-Leeste nach Melchiorshausen zu kommen, wo bei Dammschmidt übernachtet wurde.”37 Und umgekehrt, die Fuhrwerke, die nach Süden fahren, können nach Beladung in Bremen hier ihre erste Rast verbringen, um am nächsten Tag weiterzufahren auf ihre lange Reise.


Die Leester und Brinkumer können dagegen auf diesen Service verzichten. Sie übernachten die erste Nacht zuhause auf ihren Höfen, nachdem sie in Bremen beladen worden sind.


Eine Besonderheit stellt die Überquerung der Marsch zwischen Brinkum und Bremen-Kattenturm dar. Bei Überschwemmung der Marsch und noch nicht tragendem Eis wird die Strecke per Schiff angeboten - von den Brinkumern, den Arstern und auch den Leestern. Dabei werden die Farchtwagen mitsamt den Pferden auf ein Schiff gefahren und von Kattenturm nach Brinkum herüber befördert – oder umgekehrt.


Dort gibt es immer wieder Streit zwischen den Ortschaften und ihren Fuhrleuten:
Der Vogt zu Brinkum schreibt 1809 an das Amt:38
"Fremden selbst nachher gekommenen Leester Schiffern wollte er aber die Freiheit nicht gestatten, auch glaubten die Brinkumer Schiffer deswegen, die Belohnung für ihr saueres Gequäle ungeteilt, solange das Eis festlege, in Ihrer gemachten Fahrt wahrnehmen zu können, weil da Verlegenheit, also Sperrung der Passage obgewaltst sich kein fremder Schiffer zur Durcheisung habe blicken lassen, sondern erst dann erschienen wären, als sie einen ohne ihre Mühe entstandenen offenen Weg gefunden um davon zu provfitieren."


Schon im Jahre 1802 hatte Hannover wegen Streitigkeiten um die Schifferrechte bei Überschwemmungen der Marsch angeordnet und den Leestern das Recht eingeräumt, mit Schiffen die Anlegestelle in Leeste (“Rosenstelle, heutige Straße “Schiffstelle”) zu bedienen: 39


"... daß aber dagegen ihnen (den Brinkumern) nicht gestattet werden könne, andere, namentlich die Besitzer seit Anno 1603 zum Überschiffen conzessionierten Rosen-Stelle in Leeste und besonders die Schiffer aus dem benachbarten stadtbremischen Gebiete, vom Überschiffen auszuschließen"


An einigen langgezogenen oder steilen Steigungen etablierten sich Gasthäuser, die sog. Vorspannpferde anboten. Diese wurden zusätzlich vor die eigenen Pferde angeschirrt und bei Erreichen der Höhe wider freigelassen. Sie fanden dann den Weg allein in den heimischen Stall.


Diese Diensteistung bot z.B. das Gasthaus Kastendiek an der heutigen B51.40


Unterwegs lauern vielerlei Gefahren für die Fuhrleute: Raubüberfalle sind an der Tagesordnung, das Wetter kann Wege unpassier machen oder die Ladung durchnässen, das Fuhrwerk kann den Dienst aufgeben, oder Pferde können erkranken.


In der Gegend von Neustadt am Rübenberge gibt es das Sprichwort "Du bist noch nicht vör Ricklingen över!" Das soll sagen, dass man noch nicht das Schloß Ricklingen vor Hannover passiert hat, das von einem Raubritter bewohnt wurde. Die Ricklinger sind dafür bekannt, dass sie die Kaufmannszüge überfallen, ihnen die Waren abnehmen und die Fuhr- und Kaufleute nur gegen ein hohes Lösegeld wieder freilassen. 41


Dass das Leben der Fuhrleute nicht ganz ungefährlich war, zeigt auch eine Zeitungsnotiz aus dem Februar 1914: Der Fuhrmann der Firma Deike aus Bremen wird mit seinem Petroleumwagen beim Gasthaus "Waldkater" überfallen und seines Geldes (400 Mark) beraubt. Er wird niedergeschlagen und besinnungslos und blutend aufgefunden. 42


Schon 1810 gibt es besondere Schutzknechte, die als Scharfschützen die Überwachung der Bremer Frachtfuhrwerke sicherzustellen haben.  Auch Albert Budelmann aus Leeste war darunter.43


Auch geschehen immer wieder Unglücke an gefährlichen Stellen:  So berichtet ein Schreiben des Neustädter Magistrats aus dem Jahrr 1669 vom tragischen Tod eines Leester Fuhrmanns an der Brücke vor dem Leintor in Neustadt. Nach einem Hochwasser war die Brücke über die Leine völlig zerstört, und ein Fährdienst wurde eingerichtet. Beim Herunterfahren zu der Anlegestelle hätten die Pferde “den Fuhrmann namens Lüdeke Schierenbeck auß Leeste so sehr auf die Seite gedrungen, daß derselbe zuerst , hernach Pferd und Wagen, in ein stillstehendes Waßer gestürtzet, so daß der Fuhrmann unter dem Wagen sofort umbs Leben kommen”.44


Auch zu Streitigkeiten mit anderen Verkehrsteilnehmern kommt es gelegentlich. Ein Fall aus dem Jahr 1797 ist in den Akten des Diepholzer Amtes dokumentiert. Leider liegt ein Stellungnahme seitens der Frachtfahrer niccht vor, so dass wir nicht wissen, ob z.B. eine Provokation durch die Postillione oder Ähnliches vorlag: 45 

 
Actum Diepholz, den 23. Mai 1797.Acto erschienen vor hiesigem Königl. und Kurfürstlichem Amte die Postillons Franz Philipp Koch, Adam Brockmeyer, Friedrich Tecken aus Bohmte und gaben zu vernehmen:
Sie hätten die mitgegenwärtigen fremden Herren Franz Beynquit, Elie Bäckmann, Carl Roynoldis und J. Audebert, sämtlich aus Frankreich, gefahren, die von Holland kämen und nach Hamburg wollen und in Hamburg in dem Kaiser-Hof logierten. Er, Comparent und Postillon Franz Philipp Koch, habe die vorderste Kutsche gefahren, und als ihn 5 bis 6 Frachtfahrer, deren Namen er aber nicht kenne, diesseits der Lohnbrücke zwischen Buschershause und der Köhlhütte begegnet, hätte er in Gemäßheit der Verordnung frühzeitig geblasen, damit die Frachtfahrer ausweichen sollen, anstatt daß solche aber aus dem Weg fahren sollen, wären sie im Wege geblieben und hätten ihn, dem Postillon Adam Brockmeyer, nicht nur vor die Brust gefaßt, sondern auch vom Pferde reißen wollen, worauf aber seine Kameraden ihm zu Hilfe gekommen. Einer von den Fuhrleuten hätte den einen Herrn Elie Backmann angefaßt und mit der Peitsche schlagen wollen, auch hätten die Fuhrleute die eine Madame, Franz Beynquit Gemahlin, über der Hand geschlagen, daß die Hand davon geblutet. Übrigens hätten die Fuhrleute beständig auf die Kutsche geschlagen und gedroht, die Kutschen mit ihren großen Frachtwagen entzweizufahren.
Die genannten Herren, gegenwärtig, bezeugten, daß Vorstehendes alles der Wahrheit gemäß, so wie solches die Postillons angegeben, und könnten solches erforderlichenfalls eidlich erhärten, müßten aber noch hinzufügen, daß sie über eine 1/4 Stunde dadurch aufgehalten, und wollten bitten, ein Exempel an den Fuhrleuten zu statuieren.  Die Postillons: Die Frachtfahrer wären ins Amt Lemförde gefahren und würden sich noch zu Lembruch aufhalten, und wenn sie sie nur sähen, wollten sie sie noch wohl wieder kennen.  Resolutio: Die Postillons sollten sich auf ihrer Rückreise bei den Krügern in Lembruch und Sandbrink nach den Fuhrleuten erkundigen, und würde man dem Amte Lemförde sogleich schreiben. in fidem   H. Bütemeister
 
Actum Lemförde, den 27. Mai 1797 Auf die vorgestern abends eingegangene Requisition des Königlichen Amts Diepholz vom 23. dieses meldete der Krüger und Gastwirt Johann Hinrich Lange aus Lembruch: Es wären am 23. gegenwärtigen Monats sechs Frachtfuhrleute bei ihm zur Nacht gewesen, zuerst angekommen: 1.) Bartold Butelman,  2.) Hinrich Wortman; eigentlich aber Landsmann,  3.) Heinrich Budelman, und diesen bald nachher gefolgt 4.) Albert Schriever,  5.) Peter Lindhorst,  6.) Hinrich Siemer. Aus dem Amt Syke müßten solche sein; er könnte aber nicht sagen, ob aus Leeste oder Brinkum. Selbige hätten sich sämtlich von einem mit den Postillons gehabten Streit nichts merken lassen. […] Die Frachtfuhrleute wären noch des Nachmittags bei hellem Sonnenschein angekommen und des Morgens ungefähr um 6 Uhr wieder abgefahren. Von denselben wollten auch seine Leute gehört haben, daß sie in der Kohlhütte eingekehrt gewesen wären. Zurückgekommen wäre noch keiner; dieses würde auch nicht zusammen geschehen, da sie gewißlich mehrere Abladungsörter hätten. […] Ut Supra in fidem.  (gez. Unterschrift

 
Das Reisen ist eine wahre Plackerei, so dass das morgendliche Stoßgebet eines Fuhrmanns verständliche Sehnsüchte zum Ausdruck bringt.46